Online-Handel und Internetauktionen im Visier der Steuerfahndung
Katja Schmid 05.06.2003
Seit kurzem durchforstet die neuartige Suchmaschine XPIDER für das
Bundesamt für Finanzen das Web nach SteuersündernHeimlich, still und leise hat die neue Wunderwaffe deutscher
Steuerfahnder ihren Dienst angetreten. Sie hört auf den Namen XPIDER
und patrouilliert seit kurzem im Web. Seit wann genau, möchte man beim
zuständigen Bundesamt für Finanzen [1] in Bonn nicht verraten. Und wie
die Suchmaschine im Einzelnen funktioniert auch nicht. Doch soviel
steht fest: Der neuartige Web-Crawler ist in der Lage,
Verkaufsplattformen jedweder Art zu durchforsten, Querverbindungen
zwischen An- und Verkäufen herzustellen und das Ganze am Ende
abzugleichen - etwa mit dem Handelsregister sowie internen Datenbanken
des Bundesamtes. Und die haben es in sich, schließlich ist das
Bundesamt die zentrale Sammelstelle [2]] für steuerlich relevante Daten
aller Art. Und damit hinterher keiner sagen kann, er sei es nicht
gewesen, werden sämtliche Beweise gesichert. Und zwar so, dass sie vor
Gericht verwendet werden können.
Hintergrund der digitalen Aufrüstung ist der florierende Online-Handel.
Gleich nach den Amerikanern entdeckten vor allem die Deutschen, dass
sich überflüssiger Besitz bei eBay leicht zu Geld machen lässt. Vom
Lockenstab bis zum Karmann Ghia Baujahr 1962 ist alles zu haben. Jüngst
versteigerte ein Fußballclub meistbietend seinen Trainer. Auch Hausmüll
und Wollreste finden Abnehmer. Sogar gescheiterte Ehen beziehungsweise
Andenken an dieselben werden meistbietend veräußert.
Auf dem globalen Marktplatz treffen sich inzwischen fast 70 Millionen
registrierte Nutzer aus 27 Ländern. Sie handelten im vergangenen Jahr
mit Waren und Diensten in Höhe von fast 15 Milliarden Dollar. Allein in
Deutschland gingen während des Weihnachtsgeschäfts 2002 [3] Waren für
fast zwei Milliarden Euro per Mausklick weg.
Angesichts solcher Zahlen verwundert es kaum, dass sich auch die
Steuerfahndung für Online-Geschäfte interessiert. Denn nicht nur
Privatpersonen, sondern auch professionelle Händler verkaufen über eBay
- und nicht immer werden Umsätze und Gewinne ordnungsgemäß versteuert.
Deshalb gerät auch so mancher Privatanbieter, der im großen Stil Waren
anbietet, unter Verdacht - könnte ja sein, dass es sich um einen
verkappten Gewerbetreibenden handelt.
"Das Tolle an dieser Software ist ihre Lernfähigkeit", sagt Frank
Hartmann, Pressesprecher der Deutsche Börse Systems AG [4], deren
Tochterfirma [5] Xlaunch gemeinsam mit Entory die Suchmaschine [6] für
das Bundesamt für Finanzen entwickelt hat. XPIDER wird also immer
schlauer und weiß vielleicht bald mehr über Online-Händler als diese
sich träumen lassen.
Ins Visier geraten potenziell alle, die online handeln. Ob nun über
Online-Auktionshäuser wie eBay & Co., online verfügbare Kleinanzeigen
oder Gebrauchtwagen-Börsen. Angekündigt [7] war XPIDER für Juni 2003,
intern getestet wurde seit Anfang des Jahres, jetzt ist XPIDER im
Internet unterwegs und soll im Laufe der nächsten Monate auch den
Finanzbehörden der Länder zur Verfügung gestellt werden.
Verflüchtigungstendenz und Mut zur LückeFreilich existiert die web-basierte Steuerfahndung nicht erst seit
XPIDER. In Internetkreisen bereits einschlägig bekannt sind die
Finanzbehörden von Nordrhein-Westfalen. Unter der Leitung von Ulrich
Lemmer wurde in Düsseldorf eine Truppe von drei Mann aufgebaut, die
sich speziell mit Steuersündern bei eBay & Co. beschäftigt. In ganz NRW
sind es neun Fahnder, für andere Bundesländer gelten zum Teil ähnliche
Zahlen. Lemmer ist seit kurzem in Pension, doch sein Nachfolger Wolfram
Moser bleibt dran.
Zur Zeit wird allein im Zusammenhang mit eBay in 180 Fällen ermittelt.
Darunter befinden sich auch Fälle aus anderen Bundesländern, die die
Experten am Rhein um Rat gebeten haben. Denn obwohl Steuereintreibung
Ländersache ist, wird sowohl bundesweit als auch international
zusammengearbeitet. In Düsseldorf wurden im vergangenen Jahr bereits
rund 15 Ermittlungsverfahren abgeschlossen, der spektakulärste Fall
brachte zwei Millionen Euro an Steuermehreinnahmen, andere dagegen
waren kaum der Rede wert.
Was die Gesamtsumme an Steuerausfällen angeht, ist Moser zurückhaltend.
Da dürfe man keine übertriebenen Erwartungen haben. Außerdem sei eine
Steuerfestsetzung nicht gleichzusetzen mit einer tatsächlichen Zahlung.
"In diesem Bereich herrscht eine enorme Verflüchtigungstendenz", so
Moser. Auch beweise die Gegenseite angesichts der Masse der zu
untersuchenden Fälle "Mut zur Lücke" und spekuliere darauf, der
Aufmerksamkeit der Fahnder zu entgehen. Ein gefährliches Spiel, denn in
XPIDER haben die Behörden eine mächtige Verbündete.
Stellt sich also die Frage nach der Verhältmäßigkeit: Welchen Aufwand
muss die Steuerfahndung betreiben, um vermeintlichen Steuersündern auf
die Schliche zu kommen? Schließlich klagen die Finanzämter über
Personalmangel und hätten auch gerne mehr Internetanschlüsse.
Allerdings wird dank ständig weiterentwickelter Software und neuer
Gesetze die Suche immer effizienter.
So dürfen die Finanzbehörden seit Januar 2002 die elektronisch
erstellte Buchführung von Unternehmen nach den "Grundsätzen zum
Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen" ( GDPdU [8])
mittels Datenzugriff prüfen. Das bedeutet: Firmeninterne Daten können
von Außenprüfern nach den unterschiedlichsten Kriterien durchsucht
werden. Um auch große Datenmengen schnell nach Ungereimtheiten absuchen
zu können, wurden die Laptops der rund 14.000 Außenprüfer mit der
kanadischen Software IDEA [9] (Interactive Data Extraction and
Analysis) ausgestattet.
Theoretisch ließen sich mit dieser Prüfsoftware auch die internen
Datenbanken von eBay durchsuchen. Praktisch jedoch scheitern schon
einzelne Anfragen an rechtlichen Finessen. So dürfen mit IDEA offiziell
nur solche Daten geprüft werden, die sich auf bundesdeutschem
Territorium befinden. Lagern die entscheidenden Daten, wie bei eBay,
jedoch auf Zentralrechnern in der Schweiz oder in den USA, so muss sich
die ermittelnde Behörde an das Bundesamt für Finanzen wenden und um
internationale Rechtshilfe bitten. Und zwar für jeden zu überprüfenden
Fall. Das kostet Zeit. In der Zwischenzeit können die Verdächtigen ihre
Online-Identität wechseln - und weitere Spuren im Netz verwischen.
Damit dürfte jetzt Schluss sein. Zumal XPIDER im Gegensatz zur
Prüfsoftware IDEA nicht auf dem freien Markt erhältlich ist. Man kann
also nicht selbst überprüfen, wozu die Suchmaschine in der Lage ist und
entsprechende Gegenmaßnahmen ergreifen - wie etwa bei IDEA [10].
Private und gewerbliche Verkäufe Die Kunde von XPIDER dürfte die Panik seitens der eBay-User steigern:
Bereits seit Monaten kursieren in den einschlägigen Diskussionsforen
Berichte über Besuche der Steuerfahndung im Bekanntenkreis. Und immer
öfter stellen sich emsige Verkäufer die bange Frage: Nach wievielen
Auktionen beziehungsweise ab welchem Umsatz gilt man als
Gewerbetreibender?
Eine Frage, auf die selbst Wolfgang Lübke, Deutschlands dienstältester
Leiter einer Steuerfahndungsbehörde, keine allgemeingültige Antwort
geben kann. Weil es immer auf den Einzelfall ankomme. "Mal angenommen",
so der Berliner Fahnder Lübke, "man erbt eine Yacht. Dann kann man die
für ein paar Millionen verkaufen, und trotzdem fällt keine Umsatzsteuer
an. Weil man die Yacht ja nicht erworben hat in der Absicht, sie
weiterzuverkaufen. Und weil es sich um eine einmalige Angelegenheit
handelt." Was bei der geerbten Yacht in Sachen Erbschafts- oder
Schenkungssteuer zu beachten wäre, steht auf einem anderen Blatt.
Theoretisch ist die Unterscheidung zwischen privaten und gewerblichen
Verkäufen ganz einfach. Man muss nur mal § 15 Absatz 2 EStG [11]
aufschlagen, wo erklärt wird, was man sich unter einer gewerblichen
Tätigkeit vorstellen muss. Die beiden Schlüsselbegriffe heißen
"Gewinnerzielungsabsicht" und "Nachhaltigkeit". Wobei es nicht auf den
tatsächlichen Erfolg ankommt. Schließlich sind auch Pleitiers wie Leo
Kirch oder Jürgen Schneider steuerpflichtig. Andererseits darf ein
Briefmarkensammler große Teile seiner Sammlung verkaufen, um vom Erlös
kistenweise neue Marken zu kaufen, diese aussortieren und die
überflüssigen Motive weiterverkaufen, ohne dass er damit zum
Gewerbetreibenden wird. Denn sein Anliegen ist ja der Ausbau der
eigenen Sammlung - und nicht der Handel an sich ( BFH-Urteil [12] vom
29.6.1987 (X R 23/82) BStBl. 1987 II S. 744 )
Wer sich durch die Website von eBay klickt, findet im Zusammenhang mit
dem Stichwort "Existenzgründung" durchaus den Hinweis [13] darauf, dass
mit professionell betriebenem Handel steuerliche Pflichten verbunden
sein können. Im Zweifelsfall solle man jedoch seinen Steuerberater
fragen. Dass eBay keine weitergehenden Ratschläge erteilt, ist korrekt.
"Der Appell geht vom Gesetz aus. Es ist nicht Aufgabe von Unternehmen
wie eBay, die User über ihre steuerlichen Rechte und Pflichten
aufzuklären", sagt Martin Fliedner, Pressereferent der
Oberfinanzdirektion Düsseldorf. Außerdem wäre das ein Verstoß gegen das
Steuerberatungsgesetz [14], wonach nur Befugte in Sachen Steuer beraten
dürfen.
Das Thema Umsatzsteuer betrifft übrigens auch eBay Deutschland selbst:
Trotz milliardenschwerer Umsätze zahlte das Auktionshaus bislang keine
Umsatzsteuer auf die Provisionen und Gebühren, die von den Nutzern
kassiert wird. Der Trick [15]: Die europäische Konzernzentrale des
amerikanischen Unternehmens befindet sich in der Schweiz. Mit diesem
Standortvorteil ist bald Schluss. Aufgrund der EU-Richtlinie
2002/38/EG [16] müssen künftig auch elektronische Dienstleistungen -
wie etwa die Bereitstellung einer Verkaufsplattform - von Firmen mit
Sitz außerhalb Deutschlands hierzulande besteuert werden. Stichtag ist
der 1. Juli. Deshalb wird eBay Deutschland von diesem Tag an die
Mehrwertsteuer [17] auf Provisionen und Gebühren einführen - und sie an
das Finanzamt Potsdam weiterreichen. Die gewerblichen eBay-User wären
gut beraten, sich daran ein Beispiel zu nehmen.
Quelle: heise.de